BSG: Keine Anrechung des WG-Zuschlags auf Sozialhilfe!

Am 12. Mai 2017 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass der Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI nicht auf die Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII angerechnet werden darf (Az.: B 8 SO 14/16 R).

Insbesondere in Berlin haben es sich die Bezirksämter als Sozialhilfeträger zur ständigen Praxis gemacht, die monatlichen Beträge nach § 38a SGB XI in Höhe von aktuell 214 Euro auf die gewährte Hilfe zur Pflege für die Bewohner von ambulant betreuten Wohngemeinschaften anzurechnen und die Sozialhilfe somit um diesen Betrag zu kürzen. Damit wurden die Bezirke auf Kosten der hilfebedürftigen WG-Bewohner um erhebliche Beträge entlastet. Die Senatsverwaltung argumentierte, dass die seit 2005 bestehenden speziellen Leistungskomplexe 19 und 38 für Pflegebedürftige in Wohngemeinschaften deckungsgleiche Leistungen zu den mit dem Wohngruppenzuschlag bezweckten Leistungen nach § 38a SGB XI darstellten. Etliche Klagen und Anträge dagegen waren vor den Sozialgerichten sowie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bislang gescheitert.

Der Argumentation der Berliner Sozialhilfeträger erteilte das Bundessozialgericht am 12. Mai 2017 jedoch nun eine klare Absage. Denn bei den Leistungen der Hilfe zur Pflege und den Leistungskomplexen 19 und 38 handele es sich gerade um individuelle Pflegeleistungen, für die eine pauschale Leistung in der Vergütungsvereinbarung mit den Pflegediensten vereinbart worden sei. Die Leistungen des § 38a SGB XI seien dagegen nicht zweckentsprechend, weil sie nicht den individuellen Pflegebedarf, sondern vor allem dem organisatorischen und verwaltenden Aufwand in einer Wohngruppe Rechnung tragen.

Betroffene Pflegebedürftige bzw. ihre Erben, die in der Vergangenheit Widerspruch und Klage gegen die unrechtmäßige Kürzung der Sozialhilfebescheide erhoben haben, können nunmehr eine vollumfängliche Nachzahlung der Kürzungsbeträge vom Bezirksamt fordern. Dies gilt auch, soweit Pflegedienste die Leistungen bereits erbracht haben. Soweit kein Widerspruch bzw. Klage erhoben wurde oder diese rechtskräftig abgewiesen wurden, können die Betroffenen einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X stellen, womit eine Nachzahlung zumindest seit dem 1.1.2016 ermöglicht wird.

Für die Rechtslage ab 1.1.2017 hat das Bundessozialgericht zwar keine Aussage getroffen und der Leistungskomplex wurde zum 1.1.2017 auch etwas neu formuliert, zudem haben sich die vereinbarten Leistungskomplexe leicht verändert. Dennoch hat sich der Charakter der Leistungen nach § 38a SGB XI mit den Pflegestärkungsgesetzen II und III nicht verändert. Auch wenn in der Begründung zum PSG III für das SGB XII nun die Möglichkeit eröffnet wird, den Hilfebedarf in Wohngruppen bei der Hilfe zur Pflege mit zu berücksichtigen, ist dies eher als - vorschneller - Reflex auf die bisherige die Anrechnungspraxis bestätigende Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg zu werten und nicht als grundsätzliche Rechtsänderung im SGB XII. Mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts dürfte dieser Passus aus der Gesetzesbegründung zum PSG III nun nicht mehr zum Tragen kommen.

Soweit in anderen Bundesländern ähnliche Anrechnungen der Sozialhilfeträger stattfinden, wäre auch diese Praxis damit durch das bundesweit bedeutsame Urteil wohl als rechtswidrig einzustufen.