Sozialämter verweigern Pflege bei Pflegegrad 1

Das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) sollte ab 1.12017 eigentlich für alle Pflegebedürftigen Verbesserungen bringen. Dennoch gab es bei den gesetzlichen Änderungen für eine größere Gruppe von pflegebedürftigen Menschen erhebliche Verschlechterungen - nämlich für alle sozialhilfebedürftigen (finanziell schwachen) Personen, die wegen geringerer Pflegebedürftigkeit nur den neuen Pflegegrad 1 erhalten, aber trotzdem ein gewisses Maß an Pflege und/oder Betreuung benötigen.

 

Für diese viele Tausend, wenn nicht gar zehntausende Menschen hat der Gesetzgeber mit dem PSG III die sog. Hilfe zur Pflege im Sozialgesetzbuch 12 (SGB XII) deutlich eingeschränkt. Gemäß § 63 Abs. 2 SGB XII gibt es für diese Personen nämlich nur noch einen Anspruch auf Pflegehilfsmittel, auf Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes (Umbaumaßnahmen) sowie auf den sog. Entlastungsbetrag von pauschal 125 € monatlich. Regelmäßige Pflege und Betreuung durch einen Pflegedienst oder gar die Aufnahme in ein Pflegeheim sind dagegen seit Anfang 2017 ganz ausgeschlossen - auch der Entlastungsbetrag reicht dazu längst nicht aus. Zwar gibt es gewisse Übergangsregelungen im § 138 SGB XII für bisherige Leistungsempfänger bis zur erneuten Feststellung des Bedarfs, aber dieser Bestandsschutz ist größtenteils ausgelaufen. Neue Anträge auf Hilfe zur Pflege werden ganz abgelehnt.

 

Durch diese Gesetzesänderung im SGB XII ersparen sich die örtlichen Sozialhilfeträger Millionenbeträge. Bis Ende 2016 musste jeder Pflege- und Betreuungsbedarf erhoben und auch abgedeckt werden, auch wenn er nur gering war. Die betroffenen Menschen können sich aber nicht alleine helfen und selbst für ihre Pflege bezahlen - anders als normale Pflegebedürftige nach dem SGB XI. Nicht wenige Juristen (auch ich) halten die Änderungen für verfassungswidrig, da damit im Endeffekt der - wenn auch geringe - unabweisbare Pflege- und Betreuungsbedarf von hilfebedürftigen Menschen nicht mehr berücksichtigt und gedeckt wird. Das bedeutet in der Praxis, dass die betroffenen Menschen sich selbst überlassen werden - ein unhaltbarer und unwürdiger Zustand. Gerade bei Personen mit Suchterkrankungen, Vereinsamungs- und Verwahrlosungstendenzen sowie psychischen Leiden, die eine regelmäßige Betreuung benötigen, aber nicht körperlich pflegebedürftig sind, führt diese Regelung zur Verschlimmerung ihrer Situation. Teilweise haben Sozialhilfeträger reagiert und gewähren die Leistungen über Auffangnormen. Aber auch diese Hilfe wird eher restriktiv gewährt, einen sicheren Anspruch gibt es nicht.

 

Gerichtliche Entscheidungen zu diesem Problem sind bisher noch nicht ersichtlich, die weitere Entwicklungen wird abzuwarten sein. Jedoch ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis entsprechende Fälle vor dem Bundessozialgericht und möglicherweise auch vor dem Bundesverfassungsgericht landen - mit nach meiner Auffassung berechtigten Erfolgsaussichten.